Monika Maron, Zwischenspiel: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Literarische Altersbilder
(→‎der böse Mensch: aus dem Protokoll eingefügt)
Zeile 34: Zeile 34:
Ruth empfindet nicht nur Entsetzen, sondern hört ihm interessiert zu.
Ruth empfindet nicht nur Entsetzen, sondern hört ihm interessiert zu.
Die Begegnung mit dem Bösen deutet  sie als die Begegnung mit ihrer anderen Seite. So fragt sie  Olga: „Und wenn er recht hat? Wenn es stimmt, dass das Böse in mir fasziniert war von ihm?“ (S. 172) Aber Olga erläutert den Unterschied zwischen bösen Gedanken  und  einer bösen Tat. Ruth wollte den Sekretär töten, und Olga betete sogar um Gottes Hilfe, um die Geliebte ihres Mannes bei einem Unfall sterben zu lassen, aber beide hätten niemals wirklich jemanden töten können.
Die Begegnung mit dem Bösen deutet  sie als die Begegnung mit ihrer anderen Seite. So fragt sie  Olga: „Und wenn er recht hat? Wenn es stimmt, dass das Böse in mir fasziniert war von ihm?“ (S. 172) Aber Olga erläutert den Unterschied zwischen bösen Gedanken  und  einer bösen Tat. Ruth wollte den Sekretär töten, und Olga betete sogar um Gottes Hilfe, um die Geliebte ihres Mannes bei einem Unfall sterben zu lassen, aber beide hätten niemals wirklich jemanden töten können.
Bruno drückt es noch drastischer aus, indem er sagt, es mangele Ruth zum wahren Bösen an Phantasie. (S. 176) „Sonst wären Sie eine Künstlerin statt eine Kunstverwalterin geworden. Künstler sind
Bruno drückt es noch drastischer aus, indem er sagt, es mangele Ruth zum wahren Bösen an Phantasie. (S. 176) „Sonst wären Sie eine Künstlerin statt eine Kunstverwalterin geworden. Künstler sind fasziniert vom Bösen, weil es so interessant ist.“ (S. 176) Brunos Argumentation wechselt dann – etwas im Zickzack –auf die politische und gesellschaftliche Ebene:
Hätte Hitler als Künstler Erfolg gehabt, wäre der Welt viel erspart geblieben (S.177).  Es folgt seine Überlegung, ob Moral einem „Mangel an Phantasie“  entspringe  oder  „dem zivilisatorischen Dressurakt“ (S. 178).
Hätte Hitler als Künstler Erfolg gehabt, wäre der Welt viel erspart geblieben (S.177).  Es folgt seine Überlegung, ob Moral einem „Mangel an Phantasie“  entspringe  oder  „dem zivilisatorischen Dressurakt“ (S. 178).



Version vom 2. August 2014, 21:25 Uhr

Achtung: Hier handelt es sich um 'work in progress', wir experimentieren mit der Erstellung einer Analyse in kollektiver Autorschaft

vgl. [1]

zur Biographie vgl. Sieglinde Krause: Analyse von Monika Marons Roman "Endmoränen"

Inhalt

Der Roman erzählt von einem außergewöhnlichen Tag im Leben der sechzigjährigen Museumsangestellten Ruth, deren Sichtweise auf ihr Leben durch ein vermeintliches Naturphänomen am Himmel scheinbar ins Rutschen gerät, wodurch Vergangenes und längst vergessen Geglaubtes in ihr wieder wachgerufen wird. Die plötzlich aufgetretene Sehstörung ausgerechnet am Beerdigungstag von Olga, die beinahe ihre Schwiegermutter geworden wäre, lässt die reale Welt als "impressionistische Variante" (S.31) erscheinen, während das Erinnerte erstaunlicher Weise seine klaren Formen beibehält.

Ruth hat sich entschlossen an der Beerdigung von Olga teilzunehmen, "weiße Rosen mit einer kleinen weißen Schleife: In Liebe, Ruth" (S.7) bestellt und bricht rechtzetig mit ihrem Wagen zum Friedhof am östlichen Stadtrand Berlins auf. Trotz guter Vorbereitung und Navigationsgerät verfährt sie sich jedoch, und die Fahrt endet schließlich an einem Park. Nachdem Ruth bereits im Autoradio plötzlich Olgas Stimme gehört hat, versäumt nun zwar deren Beerdigung, trifft aber stattdessen auf einer Bank in diesem Park Olga selbst. Später begegnet ihr Bruno, der früh verstorbene Jugendfreund ihres Mannes Hendrik. Ein Hund läuft ihr zu und begleitet sie durch den Park und die immer rätselhafter werdenden Erlebnisse dieses Tages, zu denen Begegnungen mit dem Ehepaar Honecker, später mit dem einem Porträt des 15. Jahrhunderts entsprungenen bösen Menschen gehören und die schließlich in einem "wilden Getümmel"(S.185)gipfeln, das stark an Goyas Gemälde "Das Begräbnis der Sardine" [2] erinnert. Mit Einbruch der Dunkelheit ist der Spuk vorbei, Ruth sieht die Realität wieder klar.

Ein Hauptthema dieses Romans ist die Frage nach der Identität. In einer Art Bilanz reflektiert die Protagonistin die verschiedenen "Ichs" (S.17) ihrer Vergangenheit, die jeweils abhängig waren von den persönlichen und politischen Lebensumständen und die sie ganz oder teilweise vergessen bzw. verdrängt hat.

Die moralischen Fragen von Schuld und Verrat bilden einen weiteren Schwerpunkt des Romans in zahlreichen Rückblenden und in den imaginierten Gesprächen der Ich-Erzählerin Ruth mit Olga, deren Motto "Schuld bleibt immer, so oder so" (S.34) lautet, und mit Bruno. Ruth muss erkennen, dass sie bei allen wesentlichen Lebensentscheidungen nicht verhindern kann, entweder an sich selbst oder an ihren Mitmenschen schuldig zu werden. Es scheint keinen Mittelweg der Schuldlosigkeit zu geben.

Als Gegenpol zu dieser existentiellen menschlichen Problematik setzt der Roman ein Tier ein, ähnlich wie schon in Marons Romanen "Endmoränen" Sieglinde Krause: Analyse von Monika Marons Roman "Endmoränen" und "Ach Glück". Der Hund lebt ohne Selbstbewusstsein als schuldunfähige Kreatur ganz im Augenblick, genießt die Zuwendung, die Ruth ihm den Tag über gibt, und kehrt abends ohne sich umzuschauen zu seinem Besitzer zurück.


Figuren

Olga

Olga wäre fast Ruths Schwiegermutter geworden, wenn sie vor vielen Jahren Bernhard nicht kurz vor der geplanten Hochzeit verlassen hätte, da sie nicht sein behindertes Kind aus einer früheren Verbindung zusammmen mit dem eigenen Kind aufziehen wollte.

Bruno

Hendrik und Bernhard

Ehepaar Honecker

der böse Mensch

Bei der Begegnung mit „dem Bösen“ wundert sich Ruth, dass sie ihn wie ihre „Kopfgeburten“ sieht, d.h. klar, nicht verpixelt wie lebendige Personen oder den Hund (S. 159). Der Mann stammt aus einem Porträt aus dem 16. Jh., bei dessen Betrachtung Ruth die unterschiedlichen Augen des Mannes irritiert hatten, die ihn einerseits „stolz und selbstbewusst“, andererseits „kaltblütig, unheimlich erscheinen lassen. (S.164) Der Böse ist süchtig danach Sterbeprozesse zu sehen, „diesen banalen Augenblick zwischen Leben und Tod“ (S. 167), verursacht sie z.T. auch selbst vorsätzlich. Er ist aber auch berührt von der Erhabenheit des Todes. Ruth empfindet nicht nur Entsetzen, sondern hört ihm interessiert zu. Die Begegnung mit dem Bösen deutet sie als die Begegnung mit ihrer anderen Seite. So fragt sie Olga: „Und wenn er recht hat? Wenn es stimmt, dass das Böse in mir fasziniert war von ihm?“ (S. 172) Aber Olga erläutert den Unterschied zwischen bösen Gedanken und einer bösen Tat. Ruth wollte den Sekretär töten, und Olga betete sogar um Gottes Hilfe, um die Geliebte ihres Mannes bei einem Unfall sterben zu lassen, aber beide hätten niemals wirklich jemanden töten können. Bruno drückt es noch drastischer aus, indem er sagt, es mangele Ruth zum wahren Bösen an Phantasie. (S. 176) „Sonst wären Sie eine Künstlerin statt eine Kunstverwalterin geworden. Künstler sind fasziniert vom Bösen, weil es so interessant ist.“ (S. 176) Brunos Argumentation wechselt dann – etwas im Zickzack –auf die politische und gesellschaftliche Ebene: Hätte Hitler als Künstler Erfolg gehabt, wäre der Welt viel erspart geblieben (S.177). Es folgt seine Überlegung, ob Moral einem „Mangel an Phantasie“ entspringe oder „dem zivilisatorischen Dressurakt“ (S. 178).

Identität

Schuld

Kunst und Tod

Fünf Gründe, warum Monika Maron auf den Hund kommt

Alterstopoi

Inmitten der existentiellen Themen von Leben und Tod bleibt die Thematik der Alterstopoi eher im Hintergrund, d.h. das Alter und die damit verbundenen Probleme werden nur indirekt angesprochen und sind als Topoi schwer zu fassen. Zwar kann die von Beginn an präsente Todesthematik als Altersklage aufgefasst werden, sie wird aber nur selten als Klage formuliert. Die alterstypischen Überlegungen Ruths darüber, wie lange sie neuerdings morgens braucht, bis sie fertig ist zum Verlassen des Hauses(vgl. S.9f), ihre Gedanken an Schlaganfall oder Herzinfarkt nach der Sehstörung (vgl. S.28) erfolgen eher beiläufig.

Der Tod Olgas jedoch, zu deren Begräbnis zu gehen sie sich innerlich widerstrebend entschließt, zwingt Ruth, sich mit ihrem Leben und ihrem eigenen Tod auseinanderzusetzen. Sie hat das Gefühl, „der Tod schmuggele sich bedenklich oft und unvermittelt“ (S.74) in ihren Alltag. Fragen darüber, wie oft sie noch das Glück des Frühlings erleben könne, oder ob dies der letzte neue Kühlschrank in ihrem Leben sei, beschäftigen sie und markieren eine Veränderung in ihrem Lebensgefühl. Sie wäre gerne religiös gewesen, um die „Kränkung“ (S.75) des „Wegseins“ durch den Trost eines Weiterlebens nach dem Tod kompensieren zu können.

An diese Überlegungen schließt sich eine direkte Klage darüber an, was den Menschen im Alter erwartet, „wie Krankheiten und drohendes Siechtum die verbleibende Zeit verdüstern“ (S.76) und die Frage „warum wir dann so verbissen um jeden Tag kämpfen“, während in der Jugend der Tod, als Protest gegen die Welt der Erwachsenen, keinen Schrecken zu haben schien. Die Angst vor dem Tod ist letztlich für Ruth eine Angst vor dem Sterben. Ihre persönliche Betroffenheit durch Gedanken an den eigenen Tod weicht im weiteren Verlauf des Romans allgemeinen Feststellungen zu den Grundkonstanten des Lebens und der menschlichen Existenz.

Der Topos des Alterslobs wird von Olga repräsentiert. Dass sie sich, seit Ruth sie im Alter von 55 Jahren kennenlernte (vgl. S.29), in ihrem Äußeren nicht verändert hat, d. h. „gleichbleibend altmodisch“ (S. 30) geblieben ist, kann unter Hinweis auf Brechts "Geschichten von Herrn Keuner" kritisch gesehen werden. Trotz den sich aus diesem Äußeren ergebenden Vorurteilen muss auch Ruth letztlich Olgas Fähigkeiten zu Toleranz, zu Hilfsbereitschaft und ihre Hinwendung zu den Bedürfnissen der Menschen anerkennen und im Stillen bewundern. Als Gegenfigur zu Ruth zeigt Olgas Lebensweg, dass Entwicklung und Veränderungen auch in der zweiten Lebenshälfte möglich sind. Olga hat die Nackenschläge und Frustrationen des Lebens nicht verdrängt, sondern sich ihnen gestellt und sie verarbeitet. Sie hat Andy gepflegt, sie hat die Verbindung zu Ruth und ihrer Enkelin Fanny aufrechterhalten, sie hat ihren Mann Hermann nicht verlassen, nachdem sie von seiner zweiten Familie erfuhr, ihm auch nicht das Leben zur Hölle gemacht und schließlich nach seinem Tod, also nach ihrem 65. Geburtstag, noch eine Berufstätigkeit aufgenommen. Ihre Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Ideen zeigt sich in ihrer Hinwendung zu der Religion der Bahai (vgl. S.84f), die für sie all das verkörpert, was sie gelebt hat. Noch in dem letzten Telefongespräch, das Ruth erinnert, spielt Olga ihre Beschwerden und damit ihre eigene Person herunter und klingt fest und zuversichtlich (vgl. S.28). Neben dem Bild des positiven Alters, das Olga verkörpert, ist es vor allem ihre Lebenseinstellung, die sie von den anderen Figuren und deren Pessimismus unterscheidet und sie vielleicht etwas zu idealisiert erscheinen lässt.

Auf den ersten Blick scheint es keine Anhaltspunkte für den Altersspott zu geben. Löst man die Episode mit Honeckers jedoch von den tragischen Verwicklungen mit der Zeitgeschichte, so zeigen sich hier Merkmale, die dem Altersspott zugeordnet werden können (auch wenn sie sich nur im Kopf der Protagonistin abspielen, wie Bruno feststellt (vgl. S.147f, S.184). Dazu gehört vor allem das Groteske ihrer Erscheinung, das durch lächerliche Verhaltensweisen gesteigert wird (vgl. z.B. Honeckers Reaktion auf den Hund,) und in Zusammenhang mit dem Alter die Funktion hat, die Distanz der Protagonistin zu dem vergangenen politischen System zu unterstreichen. Es wird gezeigt, wie im Gegensatz zu Olga die Honeckers starr und ohne Rücksicht auf die Menschen an ihrer Ideologie festhalten. Geistige Unbeweglichkeit und Altersstarrsinn verhindern eine Reflexion und ein Infragestellen ihrer ehemaligen politischen Ziele. Zu einem Schuldbekenntnis, wie Bruno es erwartet, sind sie nicht in der Lage. Dass Margot Honecker ihren Mann herumkommandiert, eine der Realität entnommene Verhaltensweise, unterstreicht die Greisenhaftigkeit Honeckers und seine Regression in kindliche Verhaltensweisen. Unter dem Gesichtspunkt der Alterstopoi betrachtet sind dies typische in der Literatur dargestellte Fehlentwicklungen im Alter. Hier dienen sie dazu die Schrecken der Vergangenheit erträglich zu machen, indem sie ins Lächerliche gezogen werden, gleichzeitig wird aber eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit eher verhindert als unterstützt. Dies leistet dagegen in gewisser Weise der Alkoholismus Brunos, dessen Selbstironie aus der Distanz des Jenseits u. U. dem Altersspott zugeordnet werden könnte.


Gattungseinordnung

Erzählweise