Kazuo Ishiguro, Klara und die Sonne

Aus Literarische Altersbilder
Version vom 26. Februar 2022, 19:14 Uhr von A103834 (Diskussion | Beiträge) (Text gelöscht wg. Fehlern)


Schutzumschlag der deutschen Erstausgabe

Perspektive und Sprache (von Monika Hartkopf)

Der Roman wird ausschließlich aus der Perspektive der Humanoidin Klara erzählt, deren Name deshalb auch den Titel bestimmt und – wie könnte es anders sein – deren Sprache die Sprache des gesamten Romans ist, abgesehen natürlich von den Dialogen. Damit nimmt Ishiguro als erster Autor das Wagnis auf sich, nicht nur eine Figur mit künstlicher Intelligenz in einen Roman aufzunehmen oder überhaupt das Thema künstliche Intelligenz belletristisch zu bearbeiten[1], sondern sich gewissermaßen in den Androiden hineinzuversetzen. Die damit verfolgte Absicht des Autors gilt es zu untersuchen.

„Als wir neu waren, standen Rosa und ich in der Ladenmitte […] und hatten den größeren Teil des Schaufensters im Blick.“ (9)[2] – so lautet der erste Satz des Romans, mit dem der Leser unvermittelt den Blickwinkel des künstlichen Menschen einzunehmen gezwungen wird, denn Menschen sind nicht „neu“, sondern klein, jung, alt … und stehen auch nicht in einem Laden zum Verkauf. Selbst wenn man diese Signale übersehen sollte, wird die Künstlichkeit der sog. „KFs“ (= Künstliche/r Freund/in) in den folgenden Abschnitten dadurch veranschaulicht, dass sie ihre Energie aus dem Sonnenlicht beziehen und deshalb um die hellsten Plätze konkurrieren. Dabei wird schnell deutlich, dass die KFs nicht wissen, wie die Energieübertragung funktioniert, so dass Klara, als sie versucht, das direkte Sonnenlicht mit ihren Händen zu berühren und genau in diesem Moment offenbar Wolken die Sonne verdunkeln, sich bemüht durch Klopfen und Reiben über den Boden das Sonnenlicht zurückzuholen (vgl. 10). Das völlige Fehlen von Naturerfahrung und Wissen um natürliche Zusammenhänge erinnert an kleine Kinder.

Das gesamte 1. Kapitel, immerhin 49 Seiten, spielt in diesem Laden, in dem die durch Aussehen, Geschlecht und Namen individualisierten Modelle auf ihren Verkauf warten bzw. in Klaras Worten „ein Zuhause“ (26) finden. Das sich über Wochen hinziehende Warten ermüdet zwar den Leser, nicht aber die durch „höchstentwickelte Auffassungsgabe“ (56) gekennzeichnete Klara. Sie beobachtet unentwegt mit nicht nachlassender Ausdauer ihre Umgebung und stellt darüber Überlegungen an. Hierbei mischen sich antrainiertes Verhalten einerseits, z.B. für den Umgang mit Kunden (vgl. 16) und kindliches Unwissen und Naivität andererseits. Letzteres zeigt sich eindrücklich in der Sprache, in der die Außenwelt beschrieben wird.

(wird fortgesetzt)



Perfekte Diener: Ishiguros Klara und Schraders Tom (von Ilse Noy)

Der humanoide Roboter Klara wird in der Welt von Ishiguros Roman als KF, ‚Künstliche Freundin‘, bezeichnet. Die Aufgabe einer solchen KF ist es, als Begleiterin eines jugendlichen Menschen dessen Einsamkeit zu lindern, und als solche ist sie von Josie ausgesucht worden. Die ‚intellektuelle‘ Ausstattung der kindlich unwissenden Klara, ihre eingeschränkte Wahrnehmungs- und Bewegungsfähigkeit und ihr auf „Harmonie“ hin programmiertes Wertesystem erscheinen jedoch derart begrenzt, dass sie unmöglich als ebenbürtiges Gegenüber und ernsthafte Gesprächspartnerin von Josie infrage kommen kann. Es ist ein Euphemismus, sie eine ‚Freundin‘ zu nennen, eher wäre sie als zwar ganz und gar emphatisch ergebene, aber auch wohl nur begrenzt einzusetzende Dienerin zu bezeichnen. Es ist daher kaum verwunderlich, dass Klara, als Josie erwachsener wird, zunächst in der Abstellkammer des Hauses, dann auf einem öffentlichen Schrottplatz „verlöscht“, wie es wieder euphemistisch heißt. Die Gesellschaft, in der Josie und ihre Mutter leben, erscheint nur noch wie die äußere Hülle einer vergangenen Zeit, in der die Liebe zwischen Mutter und Tochter, Freundschaft und auch die Betrachtung eines Wasserfalls mit Erlebnisinhalt gefüllte Begriffe, lebendige Erfahrungen waren. Die euphemistische Bezeichnung KF versucht das Defizit an Beziehungsfähigkeit zu vertuschen, das die Gesellschaft zu bestimmen scheint. Die KF Klara ist weder eine Freundin, noch ist sie als Dienerin von großem praktischen Nutzen. Das eigentliche Projekt der Mutter, die Josies Tod befürchtet, und Klaras wirkliche Aufgabe bestehen darin, Josie nach deren Tod als perfekte Kopie weiterleben zu lassen. Unerwarteterweise wird Josie gesund, Klara wird als künstliches Double nicht mehr gebraucht, die Probe, ob die Mutter die von Klara dargestellte künstliche Josie hätte lieben können, muss nicht abgelegt werden.

Indirekt gibt vielleicht Maria Schraders Film „Ich bin dein Mensch“ eine Antwort. Nur widerwillig ist Alma bereit, sich im Rahmen eines wissenschaftlichen Tests auf den Kontakt mit einem humanoiden Roboter einzulassen. Tom ist in allen Aspekten der ideale künstliche Partner für Alma, deren Wunschvorstellungen zuvor aufwendig ermittelt wurden und nun in ihm verkörpert werden. Es stellt sich heraus, dass Tom für Alma tatsächlich eine so perfekte Ergänzung ist, so sehr die Erfüllung aller Sehnsucht darstellt, so sehr Glück erfahrbar sein lässt, dass das Ende des Films vermuten lässt, dass sich Alma für ein Leben mit Tom entscheiden wird, obwohl jederzeit klar ist, dass er nicht menschlich, sondern nur ein Roboter ist. Sie erkennt selber klar, dass es ihre eigenen Wünsche und Projektionen sind, die sie dazu verleiten Tom zu vermenschlichen, ein perfektes Frühstück zuzubereiten, wider das bessere Wissen, dass Tom keine Nahrung zu sich nehmen bzw. sie schmecken kann. Andererseits besaßen wahrscheinlich auch die Küsse, die sie sich vor vielen Jahren von ihrer Jugendliebe Thomas erträumte, kaum mehr Gehalt an Realität. Auch die Liebe zu realen Menschen ist Projektion, wo also wäre der Unterschied?

Sowohl Klara als auch Tom sind nur geschaffen, um Menschen zu dienen. Sie besitzen keine eigenen Ansprüche, sind völlig bedürfnislos. Klara ist überzeugt, ihre Aufgabe gut erfüllt zu haben und „verlöscht“ ohne Widerstand. Toms einzige Aufgabe ist es, Alma glücklich zu machen, sollte das nicht möglich sein, bleibt auch ihm nur die Entsorgung. Er tröstet Alma, sie solle sich um ihn keine Sorgen machen, da er nicht lebe, könne er auch nicht sterben. Dennoch möchte man in freier Abwandlung des Brecht-Zitats (aus dem „Leben des Galilei“ -über Helden) in diesem Fall sagen: „Unglücklich das Land, das Diener nötig hat.“ bzw. „Unglücklich der Mensch, der Diener nötig hat.“




Anmerkungen

  1. Derartige Versuche haben bereits eine längere Geschichte und in der heutigen Zeit zahlreiche Bespiele, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturgeschichte_der_Roboter
  2. Alle Seitenangaben in Klammern beziehen sich auf: Kazuo Ishiguro, Klara und die Sonne, Karl Blessing Verlag, München 20213