Monika Maron, Endmoränen (von Sieglinde Krause)

Aus Literarische Altersbilder
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Biographisches

Monika Maron, die Stieftochter von Ulbrichts Innenminister Karl Maron, wurde am 4. Juni 1941 in Berlin geboren, arbeitete nach dem Abitur ein Jahr lang als Fräserin in einem Industriebetrieb, studierte dann Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte, war Regieassistentin beim Fernsehen, Reporterin bei der "Wochenpost" und arbeitet seit 1976 als freie Schriftstellerin. Aus der Zeit ihrer Reportertätigkeit stammt auch der Stoff ihres ersten Romans "Flugasche" (1981), der kaum verschlüsselt die umweltschädigenden Emissionen des Bitterfelder Kombinats und die Zensur einer Reportage darüber zum Thema hat. Trotz Marons "operativen Schreibens" (= so kritisieren, dass die Tür zu Veränderungen nicht zugeschlagen wird ) durfte der Roman in der DDR nicht erscheinen, was dazu führte, dass die Autorin das Land 1988 verließ und nach Hamburg übersiedelte. 1995 enthüllte der "Spiegel", dass Maron von 1976‑1978 KP, d.h. Kontaktperson des Stasi gewesen sei und kritisierte, dass sie dies nicht freiwillig bekannt habe. Sie selbst empfand sich aber eher als Opfer des Regimes und wollte sich auch nicht freiwillig den Medien "zum Fraße" vorwerfen. Heute lebt sie wieder in Berlin. Fast alle Romane und Erzählungen Monika Marons erschienen bei S. Fischer. Monika Maron erhielt verschiedene Auszeichnungen und Preise, darunter den Roswitha‑Preis der Stadt Gandersheim, den Kleist‑Preis (1992 ) und den Solothurner Literaturpreis. Die wichtigsten Arbeiten sind:

  • Flugasche (1981)
  • Das Mißverständnis (1982)
  • Die Überläuferin (1986)
  • Trotzdem herzliche Grüße, Briefwechsel mit J.v.Westphalen (1988)
  • Stille Zeile Sechs (1991)
  • Nach Maßgabe meiner Begreifungskraft, Essays (1993)
  • Animal Triste (1995)
  • Pawels Briefe (1999)
  • Quer über die Gleise, Essays (2000)
  • Herr Aurich, Novelle (1982/2001)
  • Endmoränen (2002)
  • Ach, Glück (2011)
  • Zwischenspiel (2013)


Inhalt des Romans

Endmoränen sind Schuttwälle, die ein Gletscher an seinem Ende aus aufgehäuften Schuttmassen bildet. Zwischen solchen Erdwällen liegt das Dorf Basekow nördlich von Berlin, in dem sich die Protagonistin Johanna mit ihrem Mann Achim noch zu DDR‑Zeiten ein altes Häuschen gekauft und unter vielen Schwierigkeiten renoviert und ausgebaut hatte, um vor allem die Ferien dort zusammen mit ihrer gemeinsamen Tochter Laura zu verbringen, abseits der Großstadt in relativ intakter Dorfgemeinschaft von 36 Seelen in 14 verstreuten Häusern. Dort war man außer Reichweite staatlicher Bevormundung und Kontrolle und konnte zwanglos gekleidet das Leben in der Natur genießen, man war beflügelt von der Geschäftigkeit des Besorgens, Ergatterns, Erstellens und Einrichtens. Diesmal, 13 Jahre später, bleibt sie am Ende des Sommers allein zurück in dem Haus und in dem seit der Wende veränderten Dorf, um weiter an einer Biografie über Wilhelmine Enke, die Geliebte Friedrich Wilhelms II., zu arbeiten. Der mehrwöchige Aufenthalt veranlasst sie jedoch ‑ auch ausgelöst durch auftretende Schreibunlust ‑ zu Reflexionen über ihr gegenwärtiges und zukünftiges Leben, ihre Ehe, ihre Freundschaften etc., d.h. sie zieht Bilanz. Einer Endmoräne gleich hat sich der Lebensschutt von Jahrzehnten vor ihr aufgetürmt, all die Hoffnungen und Sehnsüchte, die enttäuschten Liebschaften, die Träume von einem glücklichen Leben.

Johanna ist Anfang fünfzig und bemerkt, dass eine schleichende Veränderung in der Wahrnehmung der Jahreszeiten bei ihr stattgefunden hat (vgl. S.5 )[1] , ohne dass sie sagen könnte, wann das geschehen sei, genauso wenig wie sie zeitlich bestimmen kann, wann die Freude aus ihrem Leben oder die Begeisterung aus ihrer Ehe verschwunden ist oder wann sie das Altern ihres Gesichts zum ersten Mal bemerkt hat. In der DDR war sie Biografin, auch Verfasserin von Nach‑ und Vorworten und Begleittexten zu literarischen Schallplatten gewesen. Sie hatte sich darauf spezialisiert, Regimekritisches in ihren Texten zu verstecken, so dass es der Aufmerksamkeit des Zensors entgehen und nur von aufmerksamen Lesern erkannt werden konnte. Diese Fähigkeit ist nun, zehn Jahre nach der Wende, obsolet geworden. Diese subversive Schreibweise benötigt niemand mehr, weil alles gesagt und geschrieben werden darf. Das Motiv für ihre Arbeit an der Biografie von Wilhelmine Enke, der späteren Gräfin Lichtenau, hat sie aus den Augen verloren; sie arbeitet nur noch, weil sie das Geld braucht und den Vertrag erfüllen muss.

Hiermit ist eines der Hauptthemen des Romans angesprochen: Die veränderte Rolle der Literatur bzw. des Schreibens in einer gewandelten gesellschaftlichen Situation. Vielen DDR-Intellektuellen war das geistige Fundament für ihre Arbeit weggebrochen. Aus den Gedankennischen in einem totalitären System wurden Freiräume der geistigen Kultur, die mit neuen Inhalten gefüllt werden müssen. Dagegen sein genügt nicht mehr. Johannas Ehemann Achim, ein Kleist‑Forscher, hatte zu DDR‑Zeiten relativ unabhängig hinter dieser "Barrikade" herumwerkeln können. Jetzt sieht er sich der Konkurrenz aus dem Westen ausgesetzt und muss, völlig untrainiert im Ehrgeiz, neue Tugenden entwickeln. Aber nicht nur die Lebensentwürfe ostdeutscher Menschen funktionieren unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen nicht mehr. Johannas früherer Freund Christian P. aus München, der in einem Verlag arbeitet, berichtet in seinen Briefen davon, dass er mit seinem geisteswissenschaftlichen Ressort zugunsten von medienwissenschaftlichen und bioethischen Reihen unters Dach abgeschoben worden ist wie ein lebendes Fossil. Auch in seiner Ehe ist er gescheitert. Johannas alte Schulfreundin Elli, die in Kreuzberg lebt, hat jetzt den "Vorschlägen" eines 28-jährigen Vorgesetzten zu folgen, der sie ein wenig herablassend behandelt, weil sie kein Englisch kann.

Der Briefwechsel mit Christian P. ist neben den Notizen zu Wilhelmine Enke nicht nur formal ein wichtiger Baustein des Romans, denn in ihm spricht die Erzählerin sehr offen über ihre Gefühle, ein Thema, mit dem sie bei ihrem Ehemann kein Gehör findet. Sie beginnt diesen Briefwechsel eher zufällig, nachdem sie in ihrem Adressbuch auf seine Adresse gestoßen war. Unfähig zum Schreiben, will sie dem Stumpfsinn des ewigen Fernsehens, Telefonierens und der Haus‑ und Gartenarbeit ein Ende setzen und wenigstens ein paar Briefe schreiben. Christian P. war in früheren Zeiten einer der "Westbesucher" in Ostberlin, zu dem das Ehepaar eine Freundschaft und Johanna fast eine Romanze entwickelt hatte. Inhaltlich geht es in den Briefen vor allem um Sinnfragen, z.B. die Fragen nach Glück, Hoffnung, Glauben, Aufgaben und Zielen für den Rest des Lebens, der ja mit 20‑30 Jahren angesetzt werden muss und also noch eine beträchtliche Zeitspanne darstellt. [2]

Johanna bedauert vor allem, die Chance zu einem neuen Leben nach der Wende nicht für sich genutzt zu haben wie der ehemalige Parteisekretär und jetzige Beerdigungsunternehmer oder der Herausgeber der Werke Ludwig Tiecks, der Minister wurde (vgl. S. 41). „Ich hätte damals mit dem Biografieschreiben aufhören müssen. [...] So scheint es mir jedenfalls heute.“ (S.213f) Von dem in der Erinnerung so schwungvollen Christian erhofft sie sich eine gewisse Aufmunterung, aber dessen Antworten lassen die gleiche Resignation, Melancholie und "Schläfrigkeit" (S. 213) erkennen, unter der auch Johanna zu leiden hat. Er ist also ein Spiegel, der ihr nichts zurückwirft, was sie nicht schon kennt.

Ganz anders verhält es sich mit der historischen Spiegelfigur Wilhelmine Enke. Ihr Grab war 1961 auf dem Todesstreifen zwischen Ost‑ und Westberlin wegplaniert worden, was vor 15 Jahren noch eine Möglichkeit zu verstecktem Protest und Systemkritik in ihrer Biografie geboten hätte, jetzt aber uninteressant geworden ist (vgl. S. 38f). Deshalb fehlt auch für Johanna jeder Schreibimpuls, obwohl gerade diese Frau ein Vorbild für ein tatkräftig gelebtes Leben sein könnte. Die Mätresse Friedrich Wilhelms II., Preußens König von 1786 ‑ 1798, hatte zu Lebzeiten des Herrschers ihren Einfluss auf diesen sehr geschickt zu nutzen gewusst. Nach seinem Tod war sie arretiert und enteignet, dann aber nach drei Jahren rehabilitiert worden und hatte im Alter von 50 Jahren ihre Chance ergriffen und einen sehr viel jüngeren Theaterdichter geheiratet. Immerhin entlehnt Johanna von ihr den Trick, mit Hilfe phantasierter Geistererscheinungen und deren Botschaften Einfluss auf den geliebten Mann zu nehmen. Sie tut das ironisch gebrochen, was Achim auch richtig versteht, während Wilhelmine Enke den geistergläubigen König mit erfundenen Botschaften aus dem Jenseits tatsächlich zu ihrem Vorteil beeinflusst hatte.

Der Roman enthält eine ganze Typologie weiblicher Schicksale, die unterschiedlich auf die veränderte gesellschaftliche Situation reagieren. Die Dorfbewohnerin Friedel Wolgast protestiert vergeblich gegen das asoziale Verhalten ihres neuen Nachbarn, eines arbeitslosen Akademikers aus der Stadt, und bleibt auf der Strecke. Die Freundin Elli, vor der Wende ausgewandert nach West‑Berlin, arrangiert sich mit ihrer neuen Arbeitssituation und wirkt desillusioniert. Tochter Laura, 27, die etwas Wildes und Furchtloses an sich hat, das Johanna bewundert, kommt schwanger aus Amerika zurück, will das Kind nicht austragen und wieder nach Amerika zurück. Sie findet, dass es den Deutschen zu sehr an Stolz mangelt (vgl. S. 175) und will in dem Land ihrer Wahl leben. Johanna bewundert Karoline Winter, eine Westdeutsche aus Lübeck. Diese ist nach der Wende ins Dorf gezogen, weil sie das ehemalige Gutsverwalterhaus geerbt und renoviert hat. Von den Dorfbewohnern wird sie als Nachfolgerin der alten Herrschaft respektiert. Sie ist Malerin, erfolgreich, elegant und welterfahren und von einer in der Gegend ungewöhnlichen Offenheit. Sie hatte Johanna vor dem ländlichen Supermarkt angesprochen und eingeladen. Allerdings leidet sie unter Flugangst und dem Gedanken, dass sie keine natürlichen Erben für ihre so geschmackssicher zusammengetragenen materiellen Güter hat. Deshalb muss sie vor jedem potenziell tödlichen Flug lange Testamentslisten machen und gerät darüber in Panik. Dann zweifelt auch sie am Sinn des Lebens, von dem doch nichts übrig bleibt als Geld. Sie hat einen jüngeren Geliebten, einen russischen Galeristen namens Igor, einen schönen, großen Mann, der wie Majakowski aussieht und sich auch so kleidet. Dieser betreibt eine Galerie für moderne russische Malerei in Berlin und plant die Eröffnung eines Gegenstücks mit moderner westeuropäischer Malerei in Moskau. Er ist der Vertreter eines ungewöhnlichen Gender ‑ Konzepts in diesem Roman. Igor ist der Auffassung, dass in der Zukunft viele junge "Barbaren" auf der Suche nach Glück, Wohlstand und Erfolg in die reichen westlichen Länder kommen werden, und dass dann "die große Zeit der reifen, intelligenten, gutverdienenden Frauen anbrechen" (S. 236) wird. Dann wird es "absolut altersunabhängige Gründe für eine Zuneigung" (S. 237) geben. Diese Ansichten äußert Igor an dem vorletzten Abend vor Johannas Abreise nach Berlin, an dem er plötzlich zu einem Besuch allein bei ihr auftaucht ‑ Karoline ist wegen einer Ausstellung ihrer Bilder in Moskau ‑ und nach reichlichem Weingenuss auch über Nacht bleibt. Igor selbst ist allerdings kein "Barbar", sondern ein Diplomatensohn, der seine Kindheit zum Teil in Bonn verbracht hat. So wird er auch keineswegs zudringlich, sondern wartet gelassen im Gästezimmer auf Johanna. Er hatte sie den ganzen Abend über mit Blicken in eine ihr ungewohnte oder lange entwöhnte Unruhe versetzt und die Situation als Verehrer und Kenner von Frauen richtig eingeschätzt. In dieser Begegnung findet Johanna zurück zu den Gefühlen, die sie als ganz junge Frau gehabt hatte, „...ich war dieselbe wie damals." (S. 246) Am nächsten Morgen kommt ihr die Idee zu einer neuen größeren Publikation, der Biografie der Fürstin Natalia Timofejewna, einer alten Dame aus Igors Bekanntschaft. Dass sie auf der Fahrt nach Hause im Vorbeifahren einen ausgesetzten Hund nicht nur wahrnimmt, sondern auch mit ins Auto nimmt, gehört m. E. auch zu der wieder gewonnenen Spontaneität. Das letzte Nomen des Romans heißt "Anfang".


Das Thema Alter und Altern

Der Roman ist vor allem eine Auseinandersetzung mit den Befindlichkeiten, Ängsten und Hoffnungen bei der Wahrnehmung des Alterns in physischer, psychischer und sozialer Hinsicht.

Johanna und ihre Freundin Elli hatten in jüngeren Jahren von der Unabhängigkeit und Narrenfreiheit, die sie als alte Frauen haben würden, geschwärmt. Sie würden Leute ärgern oder ungestraft subversive Aktionen gegen den Staat durchführen können.(vgl. S. 28). Jetzt könnten sie das alles tun, aber sie wollen nicht mehr. Die Verbote sind weg, also auch der Anreiz. Außerdem beklagen sie einen Verlust an Leidenschaft, Aufregung, Kampfgeist, die für derlei Dinge notwendig wären.

Der körperliche Verfall wird deutlich an „der Greisenhaftigkeit“ auf der Haut, dem „melierte[n] Scheitel" (S. 26). Er ist unaufhaltsam und für Johanna ein „demütigende[r], wehrlose[r] Zustand" (S. 37). Sie vermeidet den Anblick ihres nackten Körpers beim Duschen und versteckt ihn unter einer Decke von Schaum in der Badewanne wie ihre verstorbene Jugendfreundin Irene, die verwachsen war und dasselbe tat (vgl. S. 27). Sie glaubt auch keine erotischen Erwartungen mehr haben zu dürfen, wie Irene sie wohl wegen ihres Gebrechens nie hatte. „Ich sagte, daß alt und verkrüppelt ähnliche Zustände seien, weil Alten ebenso wie Verkrüppelten bestimmte Ansprüche einfach nicht zustünden." (S. 35). Der alternde Körper bedeutet auch Verlust an Macht, die durch den Körper ausgeübt werden kann mit Hilfe seiner Anziehungskraft, d.h. Verlust an Handlungsspielraum. Karoline Winter dagegen ist nur zwei Jahre jünger als Johanna und tritt ganz selbstverständlich mit ihrem deutlich jüngeren Geliebten auf. Das irritiert Johanna, die sich auch sonst öfter mit Karoline vergleicht (vgl. S.78). Ihre eigenen erotischen Eskapaden während ihrer langjährigen Ehe beschränken sich auf einen einzigen Kuss mit Christian P. vor vielen Jahren.

Einen breiteren Umfang haben aber die Darstellungen der seelischen Veränderungen an der Schwelle zum Alter. Da sind zunächst die veränderte Wahrnehmung der Jahreszeiten und das schon genannte Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, die Ratlosigkeit, wie man die „öde lange Restzeit“ füllen könne. „Ich fragte mich, ........mir die übrige Zeit irgendwie zu vertreiben.“ (S. 138)

Dazu kommt das Nachlassen der Leidenschaften, die Beobachtung einer gewissen „Schläfrigkeit", auch eine wahrgenommene Distanziertheit Johannas bei Gesprächen über die Zukunft der Welt. „Über dem ganzen Streit hing die Frage, ob mich das alles wirklich noch anging und warum ich mich erhitzen sollte an einer Welt, die ganz sicher kommen, in der ich aber nicht mehr leben würde. Lass sie doch ziehen, die Welt..." (S. 137). Christian P. erlebt Ähnliches bei einem Theaterbesuch in Berlin (vgl. S. 218).

Johanna stellt in dieser Situation der Sinnsuche die Frage nach alten Werten wie Glaube, Liebe, Hoffnung und Glück, besonders in dem Briefwechsel mit Christian P. Der antwortet mit pragmatischeren Lösungen: „Riskante Aufbrüche .... einander verlassen." (S. 220f) Auch trauert er den vergangenen Leidenschaften nicht nach wie Johanna. An die Stelle der Leidenschaft ist für ihn das Genießen getreten. „Die Leidenschaft verhält sich zum Genuß wie der Wahnsinn zum Denken." (S. 221)

Die Veränderung des sozialen Status im Alter wird dargestellt in Johannas Furcht, nichts zu können, „was diese Welt noch braucht“ (S. 56) und nur noch „als Zielgruppe von Verkäufern aller Branchen und als katastrophaler Kostenfaktor für die Krankenkassen wichtig" zu sein, beneidet von den Jüngeren um den „wohlverdienten Lebensabend", noch zwanzig oder dreißig Jahre lang den „unnützen, faulen Vergnügungen" nachgehend (S. 55f).

Unsere Alterstopoi sind in dem Roman nicht ganz leicht auszumachen, weil die Klage ohne Larmoyanz, das Lob eher mit Ironie und der Spott mit einer gewissen Sachlichkeit vorgetragen werden. Die Topoi werden zwar aufgerufen, aber als gesellschaftlich nicht durchgängig dargestellt. Karoline Winter und Wilhelmine Enke haben Beziehungen mit jüngeren Männern und erfüllen nicht das Klischee der üblichen Mann – Frau ‑ Beziehungen. Die Klage über verlorene Attraktivität, Leidenschaft oder sozialen Status ist zwar vorhanden, dies wird aber als eine Stufe der Anpassung an eine neue Lebenssituation akzeptiert. Für mich handelt es sich eher um die Beschreibung einer notwendigen Trauerarbeit nach dem Verlust der Jugend und der Vitalität der aktiven Lebensjahre. Johanna ist in dem Roman die einzige Person, die diese Schwelle reflektierend durchlebt und überschreitet. Für das Gelingen spricht der letzte Satz des Romans: "Ein wunderlicher Anfang, dachte ich.“ (S. 253)


Anmerkungen

  1. Monika Maron, Endmoränen, Frankfurt/M. 2002. Alle Seitenangaben in Klammern beziehen sich auf diese Ausgabe
  2. vgl. den Abschnitt „Das Thema Alter und Altern“