Louis Begley, Schmidt / Schmidts Bewährung (von Maria Burkhard)

Aus Literarische Altersbilder


Suhrkamp Taschenbücher, 1999 und 2002

Die beiden Romane gehören inhaltlich zusammen, können aber auch einzeln gelesen werden.

Die folgenden Untersuchungen beziehen sich in erster Linie auf Band 1: Schmidt.



Biographie[1]

Louis Begley wurde am 6. Oktober 1933 unter dem Namen Ludwik Beglejter als Sohn polnischer Juden in einer kleinen Stadt im Osten Polens geboren. Er selbst und seine Mutter entgingen, als katholische Polen getarnt, dem Holocaust. Nach dem Ende des Krieges kam die Familie wieder zusammen. Im März 1947 siedelte die Familie in die USA über und ließ sich in Flatbush/Brooklyn nieder, wo sie den Namen Begley annahm.

1950 erhielt Louis Begley ein Harvard-Stipendium. Gemeinsam mit John Updike absolvierte er 1954 den Studiengang Englische Literatur als Jahrgangsbester. Während seines Militärdienstes 1955/56 war er beim Hauptquartier der 9. Division in Göppingen stationiert. Anschließend immatrikulierte er sich erneut in Harvard im Studiengang Jura, den er 1959 mit magna cum laude abschloß. Seit 1959 arbeitet er als Anwalt in der Kanzlei Debevoise & Plimpton, bei der er 1968 Teilhaber wurde.

1993-1995 war Begley Präsident des Amerikanischen PEN Zentrums. Er ist Mitglied der Anwaltskammer der Stadt New York, Mitglied des Council on Foreign Relations, sowie Mitglied des Vorstandes des Amerikanischen PEN Zentrums.

Er lebt heute in New York.

1991 legte Louis Begley seinen ersten Roman vor: Wartime Lies, (Lügen in Zeiten des Krieges), New York 1991 - Suhrkamp 1994. Er gilt als ein wichtiges Dokument der literarischen Erinnerung an den Holocaust. Der Autor erhielt dafür zahlreiche Auszeichnungen.

Es folgten die Romane:

Wie Max es sah (1995)

Der Mann, der zu spät kam (1996)

Schmidt (1997)

Mistlers Abschied (1998)

Schmidts Bewährung (2000)

Das gelobte Land.(2001)

Schiffbruch (2003)


Inhalt[2]

Schmidt und in der Fortsetzung Schmidts Bewährung ist die Geschichte eines erfolgreichen New Yorker Anwalts, der sich aus mehreren Gründen vorzeitig aus dem Berufsleben zurückgezogen hat und nun versucht, nach dem Tod seiner Frau, als Witwer mit dem Ruhestand zurecht zu kommen.

Der erste Band dieser Altersgeschichte beschäftigt sich mit Schmidts komplizierter Vater – Tochter Beziehung, seinem Rückblick auf eine erfolgreiche Anwaltskarriere in einer angesehenen Anwaltssozietät, die ihn wohlhabend gemacht hat, und einer für ihn beglückenden Liebesbeziehung zu einer sehr viel jüngeren Frau, die seine Tochter sein könnte.

Der Tod seiner Frau und der gleichzeitige Verlust des Berufes lassen Schmidt in ein tiefes Loch fallen. Es zeigt sich, dass er kaum wirkliche Interessen hat, die ihm Anregungen gäben, seine Zeit zu gestalten. Das Leben mit seiner Frau, angesiedelt in einem gehobenen bürgerlich wohlhabenden bis reichen Milieu, verlief in wohlgeordneten Bahnen von gesellschaftlichen Verpflichtungen und kulturellen Ansprüchen, war aber kaum lebendig gelebtes spontanes Leben.

Da seine Frau für die Pflege der gesellschaftlichen Beziehungen zuständig war und über ihren Beruf als Lektorin die Kontakte zur Kultur und zu interessanten Menschen herstellte, findet sich Schmidt nach ihrem Tod in erschreckender Isolation und unfähig, Beziehungen zu Menschen zu pflegen oder gar zu entwickeln. Ohne dass er sich Rechenschaft darüber gegeben hatte, hatten in seinem Leben vornehmlich die Anwaltskanzlei, die sehr auf Konkurrenz aufgebaute Karriere und Geld eine Rolle gespielt, auch wenn ihm die Familie, seine Frau Mary und seine Tochter Charlotte, im Rahmen dieser Voraussetzungen wichtig waren.

Vor diesem Familienhintergrund wird die sehr gespannte und von Seiten der Tochter ablehnende Haltung dem Vater gegenüber verständlich, die ihn als einen Vater erlebt hat, der formal alle seine Pflichten erfüllte, den sie aber nicht als einen warmen herzlichen Menschen erfahren hat, bei dem sie sich aufgehoben gefühlt hätte. Zudem hatte sie als Kind miterlebt, wie dieser Vater seine Frau mit dem Kindermädchen betrog, eine Kränkung der Mutter, die Charlotte ihrem Vater nie verziehen hat.

Charlotte verbindet sich mit einem jungen Kollegen aus Schmidts Anwaltskanzlei, der alle Eigenschaften ihres Vaters in verstärkter Form besitzt. Schmidt lehnte ihn zutiefst ab, weil er in ihm einen jungen Technokraten sieht, der tüchtig, erfolgreich, kühl auf seinen Vorteil bedacht, nicht einmal das Mindestmass an kulturellen Aktivitäten entwickelt, das für Schmidt in seinem Milieu eine Rolle spielt.

Der Schwiegersohn Jon ist Jude, was in den Augen Schmidts, der jeglichen Antisemitismus weit von sich weist, ein besonderer Makel ist. Allerdings erfährt Charlotte mit dieser anderen Kultur zum ersten Mal in ihrem Leben eine warmherzige lebendige Familienatmosphäre, die sie so sehr anzieht, dass sie sich ganz aus ihrer Restbeziehung zum eigenen Vater zurückzieht und in die Familie ihres Mannes, in der sie herzlich aufgenommen wird, einwandert. Sie will sogar zum Judentum übertreten.

Schmidt erfährt diese Loslösung, die mit Kränkungen auf beiden Seiten verbunden ist, als ausserordentlich schmerzlich. Er liebt seine Tochter, kann nicht im mindesten verstehen, was sie bewegt und warum sie so handelt. Da sie nie miteinander sprechen und kaum etwas voneinander wissen, wird ihre gestörte Beziehung zu einem Zerwürfnis, das erst ganz zum Schluss des Romans in einem Gespräch offen angesprochen wird. Vater und Tochter sehen einander in ihren Begrenzungen und nehmen sich vor, einander so zu akzeptieren.

Im Mittelpunkt beider Romanteile steht Schmidts Liebesgeschichte mit der sehr viel jüngeren Kellnerin Carrie, einer Latina von ungewöhnlichem Charme und natürlicher Grazie. Zunächst ist nicht recht klar, warum Carrie sich zu diesem älteren Mann hingezogen fühlt. Es sind nicht die materiellen Vorteile. Auf beiden Seiten entwickelt sich langsam eine lebendige Zuneigung und glücklich gelebte Sexualität.. Schmidt liebt Carries ungewöhnlich schönen Körper, ihre jugendliche Frische und erlebt sich stolz als noch begehrten älteren Mann. Carrie hat einen ausgeprägten Hang zur Sexualität, der von ihrem ersten Liebhaber, einem sehr viel älteren Lehrer, geprägt wurde. Diese „Urerfahrung“ bestimmt wohl auch ihre Beziehung zu Schmidt, den sie wirklich liebt.

Sie will aber nie eine Ehe mit ihm eingehen, obwohl er sie stets dazu drängt und sie auf diese Weise finanziell gut abgesichert wäre. Sie ist sich über sein Alter im klaren und will keinen Mann der sie eines Tages möglicherweise nicht mehr sexuell zu befriedigen könnte. Ihre Liebesbeziehung findet, wenn auch für Schmidt sehr schmerzlich, allmählich einen anderen Inhalt.

Carrie begegnet einem jüngeren Partner und Schmidt ist in der Lage, seiner Liebe eine andere Form zu geben, die es ihm möglich macht, die junge Frau loszulassen und die Zuneigung dennoch zu erhalten.

Statt dessen entwickelt sich ein Aktivitätsbereich, der an seinem Beruf anknüpft und sein Leben neu mit Sinn erfüllt. Ihm wird die Geschäftsführung einer grossen Stiftung angetragen, eine Tätigkeit, die ihm gestattet, seine Fähigkeiten und Erfahrungen wieder einzusetzen.

Neben einer differenzierten Behandlung der Altersthematik hat Begley eine Gesellschaftskomödie geschrieben, die unter einer einfachen Liebesgeschichte herkömmlicher Art (alter Mann - blutjunge Frau) ein bemerkenswert vielschichtiges Bild der gehobenen amerikanischen Mittel- bis Oberschicht zeigt. Mit Distanz und Ironie werden Rituale des Berufs- und Geldgebarens, Vorurteile und der Umgang von Menschen verschiedenerer Gesellschaftsschichten dargestellt. Sie gestatten einen interessanten Blick auf US-amerikanische Verhältnisse.


Schmidt und Carrie

Die Entwicklung der Beziehung zwischen Schmidt und Carrie steht im Mittelpunkt des ersten Romans. Letztlich geht es um die Frage, ob ein Mann, der zwar nicht besonders alt, aber schon im Ruhestand ist, noch eine geglückte Liebesbeziehung zu einer jungen, hübschen Frau haben kann, und was sich dadurch in seinem Leben verändert.

Schmidts Antworten bewegen sich zwischen Angst vor Lächerlichkeit und Enttäuschung einerseits und zwischen Glück und Befriedigung andererseits. Die Familie und auch die Gesellschaft machen sich die Antworten allerdings erheblich leichter. Sie halten an alten, überkommenen Vorurteilen gegenüber einer solchen Beziehung fest.

Schmidt geht ziemlich regelmäßig in dasselbe Restaurant, ins O‘Henry’s. Er merkt aber schon bald, dass es ihm dabei nicht auf das Essen ankommt, sondern dass er nur der Einsamkeit des Alltags zu entfliehen sucht. Er unterhält sich gerne mit Carrie, der Kellnerin. Sie wird immer wichtiger für ihn. In den kurzen Gesprächen, die zwischen Gast und Bedienung möglich sind, erfährt er allmählich, dass sie ungebunden ist, alleine wohnt und „dass, sie nach einem Jahr die Ausbildung im Brooklyn College vorübergehend unterbrochen und den Job angenommen habe um Geld zu verdienen; ihre Eltern könnten ihr nämlich keines geben. Später wollte sie dann studieren, um Sozialarbeiterin zu werden.“ (S. 63)[3]

Von Anfang an ist diese Beziehung etwas Besonderes, Schmidt interessiert sich für alles, was Carrie betrifft: ihren Körper, ihre Arbeit, aber auch ihre Persönlichkeit. Nicht er, sondern Carrie macht den ersten Schritt. Sie wartet vor dem Restaurant auf ihn. „ Ich sah, wie sie bezahlt haben, darum habe ich gewartet, wollte Hallo sagen“ (S. 92). Das ist es aber auch schon, denn sie geht zu ihrem Wagen und fährt weg.

In Selbstgesprächen und in seinen Tagebuchaufzeichnungen, geht Schmidt das Für und Wider einer solchen Beziehung durch. „ Stimme der Erfahrung: du bist zu ernsthaft und zu prüde (such dir‘s aus) für einen One-Night-Stand mit Carrie, und was sonst wäre es? Wenn sie etwas an dir mag, dann den Anschein der Ritterlichkeit.“ (S. 158) Carrie ist jünger als seine Tochter, manchmal belastet ihn das. Manchmal hilft es ihm aber auch, den Konflikt mit seiner Tochter beiseite zu schieben. „Wir gingen wie Vater und Tochter aus dem Restaurant in die Nachtluft hinaus; ich hatte meinen Lodenmantel um ihre Schultern gelegt. (S. 155)

Wie gefährdet die Beziehung lange Zeit ist, zeigt sich, als Schmidt nach seinem Weihnachtsurlaub wieder ins O’Henry’s kommt. Er hatte ein Geschenk für Carrie beim Barmann abgegeben und ihr mehrere Karten geschickt. Jetzt ist er über ihren kühlen Empfang enttäuscht, und sofort stellen sich wieder Selbstzweifel ein. (vgl. S. 201f)

Da geschieht das Unerwartete: Carrie handelt. Sie besucht ihn in seinem Haus. Wie selbstverständlich steht sie in der Kälte vor seiner Tür. Nachdem sie sich gewärmt und gestärkt hat, kommt es endlich zu einer Aussprache. „Ich erzähle Ihnen, warum ich gekommen bin, auch wenn Sie gar nicht neugierig sind: Nämlich, weil ich mich heute Abend blöd benommen hab. Haben sie das gemerkt? Und ob. Was war der Grund dafür? Wie sie reingekommen sind. War Ihnen egal, ob Sie mich sehen. Nicht einmal richtig begrüßt haben sie mich. [...] Sie hätten mich doch mal umarmen können oder mir erzählen, wie es gewesen ist im Urlaub und so. Aber nichts war.[...] Sie haben mich gekränkt. Das tut mir wirklich leid. Wenn Sie es genau wissen wollen: Ich dachte Sie behandeln mich kühl.“ (S. 213)

Im Verlaufe des Gesprächs werden die gegenseitigen Ängste offen ausgesprochen. Es wird klar, dass nicht nur Schmidt wegen seines Alters Probleme hat. Carrie ihrerseits hat Minderwertigkeitskomplexe, da sie sich ihrer Herkunft und der sozialen Unterschiede sehr genau bewusst ist. „Ich schäme mich nicht Ihretwegen. Aber Sie schämen sich wegen mir. [...] Ich weiß nur eins: Niemand soll denken, Sie haben mich gern; das wollen Sie nicht.“ (S. 213f)

Allmählich verdrängt Schmidt alle Zweifel wegen des Altersunterschiedes. Es entsteht Nähe, es entstehen Gefühle. Die Gespräche werden sehr direkt, nichts wird ausgeklammert. Das Handeln allerdings wird von Carrie bestimmt. „Du erzählst mir nicht, warum du mich magst. Weil du so lange arbeitest, weil du manchmal müde aussiehst, ich mag deine Haut und deine Füße und deinen Mund. Deine Brüste habe ich nicht gesehen. Ich denke mir, sie sind klein und fest. Du irrst dich. Ich habe große Titten. Und du denkst, ich bin ungebildet und dumm. Und jetzt denkst du, ich bin eine Nutte. Nein Carrie, das denke ich nicht. Ich finde dich wunderbar und verrückt.“ (S 216f)

Beim ersten sexuellen Verkehr zeigt sich, wie unkompliziert Carrie ist, aber auch, dass sie echte Gefühle hat. Schmidt seinerseits ist glücklich, weil er Bestätigung erfahren hat, Er entdeckt eine neue Seite seines Lebens: „Er war frei!“ (S.227)

Oder etwas später: "Ein Dinner für zwei bei Kerzenlicht in der Küche! Die Leichtigkeit des Seins war phantastisch." (S.236) Nicht einmal ein unangenehmer Anruf seiner Tochter kann ihn ganz in den Alltag zurückrufen. Carrie ist zu aufregend. Die Beziehung zu Carrie hilft ihm, sich wenigstens etwas von seiner Tochter zu lösen. Als Carrie einen Hausschlüssel bekommt, wissen beide, dass ihr Zusammensein auch ruhigere Phasen haben wird.

Schmidt lässt sich auch zu gut gemeinten Erklärungen hinreißen. Die gezeigte Großzügigkeit soll zwar ehrlich sein, aber im Grunde erhofft er sich doch genau das Gegenteil. „Carrie, ich will fair sein, das musst du verstehen. Wenn ich möchte, dass es dir gut geht, dass du glücklich bist - und das wünsche ich mir sehr -, dann kann ich nichts von dir verlangen, was dich daran hindern würde, den Richtigen zu finden - einen netten jungen Mann im passenden Alter, nicht so einen abgewrackten Pensionär!“(S. 240)

Wie schwer ihm allerdings der Verzicht fallen würde, zeigt seine Reaktion, als er erfährt, dass da noch ein anderer ist. „Bei dieser Eröffnung war Schmidt zumute, als hätte er einen Eiszapfen verschluckt“ (S. 240) Carrie versichert ihm, dass Bryan, mit dem sie die Wohnung teilt, keine wirkliche Konkurrenz ist.

Schmidt ist bereit, alles zu akzeptieren. Bryan handelt zwar mit Rauchgift, kann aber auch Autos und Häuser reparieren und einen Garten in Ordnung bringen. Schließlich stellt Schmidt ihn sogar ein und als er nach seinem Unfall im Bett liegen muss, pflegt Bryan ihn hingebungsvoll. Natürlich quälen ihn auch dabei wieder Zweifel: Wird Carrie ihm treu bleiben? Betrügt sie ihn vielleicht sogar in seinem eigenen Haus?

Sobald er eine günstige Gelegenheit sieht, den Rivalen wegzuschicken, ergreift er sie. Er bittet Bryan, das Haus in Florida, das er geerbt hat, zu renovieren. „ Das wird viel Arbeit und viel Zeit kosten.“ (S.311)

Eine einfache Lösung wird es nicht geben, Schmidt spielt alle Möglichkeiten durch, weiß aber gleichzeitig, dass er „Um nichts in der Welt“ (S. 287) von Carrie lassen kann.

Nach so vielen Zweifeln und Hoffnungen bleibt die Antwort im ersten Band offen.

In „Schmidts Bewährung“ verändert sich die Situation. Als Schmidt klar wird, dass er Carrie nicht halten kann, findet er endlich eine Antwort auf seine quälenden Zweifel. Er zerbricht nicht am Schmerz. Im Gegenteil, um sie nicht ganz zu verlieren, macht er ihr ein großherziges Angebot. Sie darf weiter in seinem Hause wohnen, und das sogar zusammen mit ihrem Liebhaber.

Das Ende der sexuellen Kontakte ermöglicht eine neue Form des Umgangs, sie erinnert an eine Vater - Tochter Beziehung.


Das ‚alter ego‘

Der zentralen Gestalt Schmidt wird der „Mann“ gegenübergestellt, der sich später als der erste Liebhaber Carries herausstellt.[4] Um die Problematik zu verdeutlichen, seien hier die einzelnen Etappen der Beziehungen zwischen Schmidt und dem „Mann“ dargestellt. Aus einer zufälligen Begegnung mit einem Fremden entsteht eine Verbindung, die für Schmidt immer belastender, ja geradezu schicksalhaft wird:

Zum ersten Mal trifft er diesen „Mann“, als er mit dem Bus nach Hause fährt und dabei einschläft. „Er schreckte auf, unangenehm berührt, mit einem üblen Geschmack im Mund. Irgend etwas stank; der Gestank hatte ihn geweckt. Er öffnete die Augen und sah, dass neben ihm ein Mann saß, etwa so groß wie er, aber deutlich breiter, mit abgetragenem Tweedanzug im selben Farbton wie Schmidts, aber schmutziger und zu eng für den Mann.“ (S. 138f)

Der Geruch, den dieser Nachbar verbreitet, wird so unerträglich, dass Schmidt beschließt, sich auf einen anderen Platz zu setzen. Es ist allerdings nicht leicht, den Mann zu bewegen, ihn vorbeizulassen. „'Lassen Sie mich raus', sagte er energisch. 'Ich kann nicht mehr warten. Ich muss dringend aufs Klosett.' 'Schon besser. Und wie wär’s mit einem Bitte?' 'Bitte.' Der Mann stellte sich in den Gang. Als Schmidt sich an ihm vorbeizwängte, drückte der Mann ihn in einer langen Umarmung an sich und küßte ihn aufs Ohr. Er flüsterte: 'Jawoll, wenn Sie höflich sind, dann liebe ich Sie wie meinen Bruder.'“ (S. 141) Als Schmidt aus dem Bus steigt, hofft er, dass diese unangenehme Begegnung eine Episode ohne Folgen sein wird, aber es bleibt ein sonderbares Gefühl.

Leider taucht dieser „Mann“ schon bald wieder auf und zwar genau an dem Ort, an dem Schmidt sich wohl fühlt, in seinem Lieblingslokal O’Henry’s. Obwohl der „Mann“ draußen auf der Straße steht und Schmidt drinnen sitzt, fühlt er sich belästigt und sogar bedroht. Dieses Mal muss er allerdings nicht die Flucht ergreifen, Carrie, die Kellnerin, hilft ihm. „Dann machte sie eine Drohgebärde mit der Faust in seine Richtung und scheuchte ihn weg. Es klingt unglaublich, aber der Mann ließ den Arm sinken und zog ab, sichtlich widerstrebend, aber besiegt.“ (S. 155) Für Schmidt selber wird diese Hilfe sehr wichtig: „[...] sie hat mich beschützt und beruhigt wie ein echter Freund“ (S. 154)

Eines Abends muss Schmidt ein erneutes Zusammentreffen ertragen und jetzt sogar vor seinem eigenen Haus: „ In dem grellen Licht sah er eine große Gestalt, die wie ein schmelzender Schneemann oben an der Treppe hockte. Ein nacktes Hinterteil leuchtete fest und unglaublich weiß. Ein Arm war erhoben, wahrscheinlich um das Gesicht vor dem blendenden Licht zu schützen. Die Gestalt richtete sich sehr langsam auf und zog an ihren Kleidern. Dann machte sie eine kleine Verbeugung in Schmidts Richtung, wie um Befriedigung mit dem erzielten Ergebnis zum Ausdruck zu bringen, stürzte darauf wie ein aufgeschrecktes Ferkel zum Ende der Veranda [...] und verschwand hinter der Geißblatthecke. Kein Zweifel: Das war der Mann. (S. 188)

Wie schon im Bus und im Restaurant gerät Schmidt auch bei dieser Begegnung in Panik. Soll er die Polizei rufen? Soll er sich selber wehren? Er tut weder das eine noch das andere. „dieser Landstreicher machte ihn wehrlos, hypnotisierte ihn offenbar wie die Schlange den Vogel,“ (S. 194)

Ein weiterer Zufall in dieser Kette von Begegnungen: Carrie erzählt, dass sie diesen Mann kennt, ja dass er ihre erste große Liebe war. „'Carrie nagelt der Mann dich?' 'Du klingst komisch! Kannst du nicht sagen: Mr. Wilson? So heißt er.' 'Tut er es?' Als er hier ankam, hat er es zuerst versucht. Hat sich bei mir gewaschen und hat’s versucht und versucht. Nichts! Er konnte nicht.'“ (S. 292)

Und dann verändert ein Unfall Schmidts Leben. Auf der Heimfahrt von einem Fest gerät er in dichten Nebel. „Schmidt blinzelt, versucht zu verstehen, was der große weiße Fisch eigentlich will, der anmutig in der Milch über dem Kühler des Saab schwimmt und auf die Windschutzscheibe zutreibt, seinem Gesicht entgegen. Natürlich, der Mann!" (S. 303)

Schmidt hat einige gebrochenen Rippen und eine gebrochene Schulter. Alles scheint wieder in Ordnung zu kommen, wie sein Schwiegersohn ihm versichert: „ der Stadtstreicher, den du überfahren hast, war schon tot, als die Polizei und die Ambulanz kamen. Zum Glück erwies die Autopsie, dass er randvoll mit Alkohol war. Außerdem zeigen die Bremsspuren, dass du in deiner Einfahrt warst und mit normaler Geschwindigkeit gefahren bist.“ (S. 307)

Obwohl der „Mann“ im Gegensatz zu Schmidt ziemlich herunter gekommen ist, gibt es zahlreiche Berührungspunkte. Die beiden ähneln sich in Alter und Körpergröße. Sie tragen ähnliche Kleider und, was fast unglaublich ist, der eine hatte, der andere hat noch eine Beziehung zu Carrie.

Die negativen Anteile des Alters werden in der Figur dieses „Mannes“ konzentriert. Er verkörpert die „unheimlichen“ und unbewussten Anteile Schmidts in sich, während in Schmidt die positiven gebündelt werden.

Die Gegenüberstellung von Schmidt und dem „Mann“ als seinem ‚alter ego‘ ist ein zentrales Strukturelement des Romans. Deutet man die Figuration psychologisch, so ist der Tod des „Mannes“ die Überwindung der unterschwelligen Ängste Schmidts vor dem Alter.


Der Generationenkonflikt - Schmidt und seine Eltern

Die Komplexität der Generationenbeziehungen zeigt sich schon in Schmidts Elternhaus. Er äußert er sich sehr hart über seine Mutter:

„Herkunft und Familie, Eigentumsverhältnisse, Gespenster in der Rumpelkammer: Das hatte mit der Eigenart meiner Kindheit zu tun. Meine Mutter war ein Hypochonder mit dem Pech, tatsächlich eine schwache Gesundheit zu haben. [...] Noch ausgeprägter als ihre Hypochondrie war ihr Geiz.“ (S. 134)

Die Beziehung ist wenig vertrauensvoll und durch Indiskretion geprägt. Hierzu ein Beispiel: Er schreibt regelmäßig Tagebuch, aber nicht, weil er selber das Bedürfnis hatte, seine Erlebnisse aufzuschreiben, sondern nur, weil sein Vater das für wichtig hält und er sich nicht dessen Wunsch widersetzen kann oder will. Es macht ihm nicht einmal viel aus, dass er dabei nicht ehrlich ist, denn er ist überzeugt, dass seine Mutter seine Aufzeichnungen regelmäßig liest. „Kurz nachdem seine Mutter gestorben war, schaffte Schmidt sich diese Protokolle der Demütigung vom Hals.“ (S. 147) Das, was die Zeit seiner Jugend festhalten sollte, wanderte zusammen mit Fotos und alten Büchern in den Müll. Erst als Student fängt er wieder an zu schreiben. Er merkt, „ dass ein Tagebuch die Möglichkeit bot, Gedanken durchzuspielen, vielleicht sogar seiner persönlichen Wahrheit näher zu kommen.“ (S. 148)

Fast nebenbei erfährt der Leser, dass Schmidt enterbt wurde, weil er nicht in die Kanzlei seines Vaters eintrat. „Am Anfang war die Enterbung wie ein Tritt in den Hindern, und der hätte nicht sein müssen, aber ich kam darüber hinweg“. (S. 136)

Schmidt gesteht sich nie ein, dass das Verhältnis: Sohn – Vater/Mutter/Stiefmutter für ihn von Bedeutung war und noch ist. Bonnie, die Stiefmutter, vermacht ihm ihr gesamtes, recht beträchtliches Erbe. Dem Testament ist ein persönlicher Brief beigefügt. Nach der überraschenden Anrede: „Lieber Schmidtie, " erklärt sie ihm, „Du warst in der schweren Zeit lieb zu mir und du hast mich nie merken lassen, dass Du enttäuscht warst! Und so tue ich das Richtige.“ (S. 310)

Von dem unerwarteten Ende des Konflikt profitiert Schmidt zwar, es hilft ihm aber nicht bei der Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit. Er hat in seiner Kindheit keine funktionierenden Generationenbeziehungen kennengelernt und das prägt auch sein Verhältnis zur nächsten Generation.


Schmidt und seine Tochter

Schon die ersten Sätze des Romans zeigen, wie schwierig und ambivalent die Beziehung zwischen Vater und Tochter ist. „Schmidts Frau war kaum sechs Monate tot, da eröffnete ihm sein einziges Kind Charlotte, sie werde heiraten. Er saß noch am Küchentisch beim Frühstück. [...] Er legte die Zeitung beiseite, sah seine Tochter an - so groß und schmerzhaft begehrenswert kam sie ihm vor, wie sie in ihrem durchgeschwitzten Jogginganzug vor ihm stand -, sagte: Das freut mich für dich. Wann soll es denn sein? und fing an zu weinen.“ (S. 9)

Er verhält sich gegenüber seiner Tochter nicht wie ein verständnisvoller Vater, sondern wie ein abgewiesener Liebhaber. Alle Versuche, seine Tochter an sich zu binden, werden von ihr zurückgewiesen. Die geplante Heirat ändert zunächst nichts, läßt aber die schon älteren Spannungen sichtbar werden, zu deren Symbol das Haus wird, in dem die Familie die Wochenenden und Ferien verbracht hat. Eigentlich gehört es gar nicht Schmidt, sondern seiner Tochter. Er hat nur den Nießbrauch auf Lebenszeit. Die Frage, soll er darauf verzichten und ausziehen, oder soll er es für sich kaufen, wird immer wieder erörtert. Am Ende muß Schmidt feststellen, dass seine Tochter das Haus gar nicht will. Das trifft ihn hart. Dazu kommt die Angst, die später zur Gewissheit wird, dass Charlotte sich immer stärker in die neue Familie integrieren wird, sie will sogar zum Judentum übertreten. „Charlotte, würde durch diese Heirat zum Bindeglied mit einer Welt werden, die nicht die seine war, sondern besetzt von Jons Eltern, den Psychiatern .“ (S.21)

Schmidt versucht eine weitere Entzweiung zu verhindern. Er nimmt sogar die Einladung an, Thanksgiving bei den zukünftigen Schwiegereltern zu verbringen, obwohl bis jetzt solche Feste immer im „Haus“ gefeiert wurden. Das erste Weihnachtsfest nach dem Tode seiner Frau kann er allerdings nicht mit dieser großen und dazu noch jüdischen Familie feiern, da bleibt er lieber allein.

Charlotte hat kaum Zeit für ihren Vater, geschäftliche aber auch private Termine gehen vor. Sie dreht den Spieß um und macht ihm Vorwürfe: Wie oft hatte er keine Zeit für sie, wie oft ließ er ihr durch seine Sekretärin etwas ausrichten. Außerdem hat das Reden eh keinen Sinn, es gibt zu viel Ungeklärtes: „Altes und Neues“ (S. 67)

Oft, wenn Schmidt vergeblich auf einen Anruf wartet, quält ihn die Frage, soll er selber anrufen und ihr entgegenkommen oder könnte auch das wieder falsch sein.

„Den ganzen nächsten Morgen wartete Schmidt auf einen Anruf von Charlotte.“ (S 143) „Er hatte sie nach seiner Rückkehr noch nicht angerufen. Er konnte es jetzt tun: vor elf Uhr gingen sie nie zu Bett. Andererseits hatte sie ihn auch nicht angerufen, obwohl er ihr [...] den Tag seiner Rückkehr genannt und ihn noch einmal auf einer Postkarte aus Brasilien geschrieben hatte.“ (S. 205)

In seinen Grübeleien sucht Schmidt nicht nur die Schuld bei seiner Tochter, er erinnert sich an all die Fehler, die er früher gemacht hat, versucht sie jetzt zu vermeiden und kann doch nichts ändern. „Haben er und Charlotte je ein richtiges Gespräch miteinander geführt, als sie noch klein oder als sie schon erwachsen war? Hat sie von ihm irgendwas Erwähnenswertes über das Leben gelernt?" (S. 200)

Natürlich weiß Charlotte, was sich gehört. Sobald als möglich besucht sie ihren Vater nach seinem Unfall, aber auch hier zeigt sich das gespannte Verhältnis. „ Wir kommen am Sonntag zu dir. Und das taten sie auch, ganz pünktlich. Schmidt fiel auf, daß sie keine Blumen mitgebracht hatten, auch sonst nichts, sie wollten ihn wohl nicht verwöhnen. Vielleicht sparte man sich innerhalb der Familie derartige sentimentalen Gesten.“ (S. 307)

Alle Überlegungen, alle Diskussionen führen nicht weiter. In dieser Lebensphase läßt sich das ambivalente Verhältnis nicht ändern und Schmidt sieht das ein, auch wenn es weh tut. „Charlottes Anwesenheit und Charlottes Abwesenheit wie die Zwillingsmasken von Komödie und Tragödie in einer Allegorie, die er nicht entschlüsseln konnte“. (S.289)

Erst in „Schmidts Bewährung“ wird ein offeneres Gespräch zwischen Vater und Tochter möglich.


Schmidt und seine ehemaligen Mitarbeiter

Die Beziehungen von Schmidt zu seinen Kollegen sind auch durch einen Generationenkonflikt geprägt. Jon Riker verkörpert das Bindeglied zwischen den familiären Problemen und der Anwaltspraxis, in der sie als Sozii zusammen gearbeitet haben.

Schmidt ist sich nie ganz sicher, ob er seinen zukünftigen Schwiegersohn ablehnt, weil er ein zu ehrgeiziger Anwalt ist, oder weil er zur jungen, erfolgreichen Generation gehört, oder, was er sich am wenigsten eingesteht, weil er Jude ist.

Als Schmidt von der Krankheit seiner Frau erfährt, will er sich um sie kümmern und beantragt sein vorzeitiges Ausscheiden aus der Anwaltspraxis. Er weiß aber auch, dass es dafür noch andere Gründe gibt. Die Strukturen haben sich inzwischen verändert und sein Spezialgebiet, Transaktionen, ist nicht mehr gefragt. Er hat es nicht geschafft, sich neu zu orientieren und er hat die Missachtung der anderen gespürt.

„Schmidt war auch an der Spitze der Profession gewesen. Aber der Gipfel, den er bezwungen hatte [...], war im Laufe von 20 Jahren immer weiter abgetragen worden und sah inzwischen so harmlos aus wie ein uralter, breit hingelagerter Hügel in saftig grünem Licht. Um sein Ansehen als Alpinist wieder aufzupolieren, hätte Schmidt eine andere Bergkette und einen Aufstieg finden müsse, der so schwer war, daß kein Platz für einen zweiten Bergsteiger blieb. Schuld daran hatte niemand.“ (S. 45)

„Er blieb in seiner alten Position, bei seinen eigenen Mandanten und seiner eigenen schrumpfenden Praxis - Zielscheibe der Nörgeleien von Riker und Konsorten.“ (S.83)

Jon ist ihm auch deswegen unsympathisch, weil er immer wieder finanzielle Fragen anschneidet und sie mit diskreten Vorwürfen verbindet. „Erhielten die Gesellschafter seiner Generation einen angemessenen Anteil vom Firmeneinkommen,[...] oder ging zuviel davon an die alten Knaben (Typen wie Schmidt. Das wurde aber nicht ausgesprochen), die nicht den Anstand besessen hatten, auszuscheiden, sobald ihre Produktivität nachließ?“ (S. 19 ) Solche Anspielungen treffen ihn um so härter, als gerade er bei einer Regelung mit geholfen hatte, die die jüngeren Mitarbeiter möglichst wenig belasten sollte: Mit spätesten 70 sollten alle Zahlungen eingestellt werden. Die Pensionäre sollten nicht „zum Mühlstein am kollektiven Hals der jungen Sozii werden.“ (S. 49)

Bei seinem Ausscheiden aus der Praxis hat er alle persönlichen Akten durch den Reißwolf schicken lassen, „diese Orgie der Selbstverstümmelung“ (S.207) kann ihm aber auch nicht helfen, die Vergangenheit zu vergessen. „[...] die Kanzlei fehlte ihm, vor allem als Geldquelle und als durchlässige Schranke gegen Selbstzweifel, das merkte Schmidt allmählich.“ (S. 17)

Wie auch in allen anderen Bereichen werden die Fragen hin und her gewälzt, und es wird keine wirkliche Entscheidung getroffen. „Ich könnte mit dem Zubringerbus in die Stadt fahren, in der Kanzlei zu Mittag essen und mich auf dem laufenden halten, aber ich hasse es, ins Büro zu gehen, und ich hasse es, meine ehemaligen Kollegen anzurufen. Dann würde ich mir wie ein unerwünschtes Gespenst vorkommen!“ (S. 79)

Schmidt überlegt, entwirft Pläne und verwirft sie sofort wieder. Es ist klar, dass er in diesem Konflikt die schwächeren Karten hat. Er kann sein Ausscheiden aus dem Beruf nicht rückgängig machen. Er muß auch die Tatsache akzeptieren, dass viele Beziehungen, die er für Freundschaften gehalten hatte, sich als sehr brüchig erwiesen haben. Das, was er könnte, alte Verbindungen pflegen, neue Kontakte suchen, das kann er nicht, weil er zu stolz und zu unentschlossen ist. Er fühlt sich von der jüngeren Generation überholt und beiseite geschoben. „ Ich bin ein Produkt, das niemand braucht. Deshalb kann ich nicht mehr zurück.“ (S. 81)


Alterstopoi - Probleme der Zuordnung

In beiden Romanen setzt sich Begley intensiv mit den Problemen des Alters auseinander. Er zeigt aber immer wieder auf, wie schwer es ist, eine bestimmte Situation zu beurteilen. Ob im Tagebuch, in Selbstgesprächen oder mit Freunden, immer wieder stellt sich der Protagonist Schmidt Fragen und sucht Antworten, die er oft schnell wieder verwirft. Er kommt selten zu eindeutigen Lösungen. Die klassischen Alterstopoi werden also häufig aufgebrochen und ambivalent dargestellt.

Begley spricht recht verschiedene Gesichtspunkte an, wie zum Beispiel: Einsamkeit/Verlust sozialer und familiärer Kontakte, Freiheit, Langeweile, Krankheit/Tod, Sexualität im Alter.

Mit gewissen Einschränkungen lassen sich diese den klassischen Topoi zuordnen.

Beim Generationenkonflikt sind Resignation und Ausweglosigkeit so stark, dass es sich eindeutig um Altersklage handelt. An der Beziehung zu seinen verstorbenen Eltern kann Schmidt nichts mehr ändern, und an eine „innere“ Aussöhnung denkt er nicht.

Genau so wenig kann er sich auf ein unverkrampftes Verhältnis zu seinen ehemaligen Arbeitskollegen einlassen. Er akzeptiert die Vergangenheit und leidet gleichzeitig darunter.

Die Spannungen zwischen ihm und seiner Tochter Charlotte bleiben sein Hauptproblem. Hier allerdings ist er nicht so unentschlossen. Er bemüht sich immer wieder um bessere Kontakte - leider ohne Erfolg.


Das ‚alter ego‘

Wenn Schmidt bei der Generationenthematik noch ab und zu versucht etwas zu verändern, so ist er bei allem, was mit dem seinem ‚alter ego‘ zusammenhängt völlig untätig. Der „Mann“ zeigt alle Mängel, die für Schmidt das Alter unangenehm machen und ihn ängstigen: Er ist arm, schmutzig, riecht schlecht, hat schlechte Zähne, kann seine Körperfunktionen nicht mehr beherrschen, versagt im sexuellen Bereich und hat seine sozialen Bindungen verloren. Er ist die Verkörperung der Angst vor dem Alter und damit der Altersklage.

Alter kann auch Verlust sozialer und familiärer Kontakte und somit Einsamkeit bedeuten.Bekanntschaften hatte Schmidt nur durch seine Frau Mary und deren Beruf. Jetzt muß er sich mit der Frage auseinandersetzen, wie soll sein Alltag in Zukunft aussehen. Will er sich zurückziehen, will bzw. kann er alte Beziehungen wieder aktivieren oder lohnende neue knüpfen? Die gefundenen Antworten sind recht unterschiedlich. Manchmal bedauert er sich und seine Einsamkeit, manchmal genießt er sie, manchmal sehnt er sich nach Gesellschaft, manchmal verachtet er sie.

Versuche dem Alleinsein zu entfliehen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, gelingen nicht. Schmidt erwartet zu viel, er spürt aber auch, dass das Interesse auf der „Gegenseite“ nicht ehrlich ist. Er sieht keine Möglichkeit, wirklich etwas zu verändern.

Ein einziges Mal hat er den Mut, sich der Einsamkeit zu stellen: Um Weihnachten nicht mit der jüdischen Familie seines Schwiegersohnes verbringen zu müssen, wählt er das kleinere Übel, er entschließt sich, alleine zu verreisen und zwar auf eine Amazonasinsel. Er ist erstaunt, wie gut es ihm tut, kann diese Empfindungen aber nicht in den Alltag hinüber retten.

Schmidt kennt die ganze Breite der Empfindungen, wenn es um seinen Körper geht. Hier überwiegt allerdings das „Klagen“. Krankheit und physischer Verfall sind Gegebenheiten, die sich nicht einfach ignorieren lassen.

Immer wieder setzt er sich mit den Veränderungen auseinander, die ihm sein Spiegelbild zeigt. Sicherheit findet er nur dann, wenn Carrie ihm das Gefühl, gibt noch „jung“ zu sein.

Als er bei stürmischem Wetter am Strand entlang geht, überfällt ihn Todessehnsucht.

Er grübelt, er überlegt und entdeckt gleichzeitig, dass er doch noch am Leben hängt und einiges von der Zukunft erwartet, obwohl er die dunklen Gedanken an die Eintönigkeit nicht verscheuchen kann.


Anmerkungen

  1. Vgl. http://www.suhrkamp.de/autoren/louis_begley_275.html
  2. Autorin: Barbara Maubach
  3. Alle Seitenangaben beziehen sich auf Begley, Schmidt, Suhrkamp Taschenbuch, 1999
  4. Zur Theorie des Doppelgängers bzw. des Unheimlichen vgl. "Das Unheimliche", S. 137-172 in Sigmund Freud, Der Moses des Michelangelo: Schriften über Kunst und Künstler, (Fischer Tb) Frankfurt 1999